Die wirklich wichtigen Dinge des Lebens …

… sind in der Regel unbezahlbar. Für mich beginnt in dieser Woche die wohl aufregendste Zeit des gesamten Jahres: Schützenfest in der Altstadt. Alle Zwei Jahre ist eine kleine Gruppe von Menschen, zu denen ich mich dankenswerter Weise auch zählen darf, in kollektivem Ausnahmezustand und hauen einige Tage lang buchstäblich auf die Pauke. Eines kann ich aus Erfahrung ganz sicher sagen: So ein Schützenfest ist ein Marathon. Kein Sprint, sondern geübtes Einteilen der Kräfte, damit man den heimlichen Höhepunkt eines jeden Schützenfestes auch möglichst schadlos erreicht: Der vermutlich absolut verbotene, aber jahrzehntelang alle zwei Jahre aufs Neue geduldete, herzanrührende letzte Walzer auf dem Marktplatz in der Nacht von Sonntag auf Montag. Dieses Gefühl lässt sich nicht wirklich beschreiben, man muß es erlebt haben, um es nachvollziehen zu können.

Dies gilt übrigens für die meisten Dinge, die sich im Umfeld der Schützen abspielen. Wie oft schon wurde ich belächelt für mein Engagement in diesen Reihen? Reichlich. Hätte mir in meiner Jugend jemand gesagt, ich würde einmal Mitglied des örtlichen Schützenvereines, überdies sogar Schützenkönig – Ich hätte ihn ohne zu zögern in die Deppenschublade verfrachtet. In sofern bin ich damals selbst genau dem auf den Leim gegangen, gegen das wir Schützen heute so mühsam ankämpfen müssen, nämlich Unkenntnis der Sache, oder schlimmer noch, unreflektierte Übernahme althergebrachter Klischees. Eigentlich sind wir ganz anders. Ich weiß das, denn ich bin mittendrin.

Um die unglaubliche Wandlung, die meine Ansicht zum Thema Schützenwesen durchgemacht hat, erklären zu können, erlaube ich mir, hier einmal eine kleine Geschichte aus meinem Leben zum Besten zu geben. Meine Schützenbrüder mögen mir verzeihen und diesen Teil überspringen, ihnen wird diese Geschichte wahrscheinlich schon aus den Ohren herauskommen, so oft haben sie sie schon gehört, wenngleich wohl noch nicht in dieser Form. Alle anderen stellen sich vor ihrem geistigen Auge bitte folgendes vor:

Ein junger, gutaussehender, sympathischer Mann, nennen wir ihn einfach mal André, lebte in einer großen Stadt am Rhein. Es war ein gutes Leben für einen Single. Reinigung, Pommesbude, Dönermann, diverse Kneipen – Alles war fußläufig erreichbar. Die Straßenbahn, in der Stadt am Rhein auch liebevoll Stangentaxi genannt, hielt direkt vor der Tür seines kleinen Schlosses, die Menschen um ihn herum waren typische rheinische Frohnaturen, kurzum – der Junge Mann fühlte sich rundum wohl. Eines allerdings fehlte in seinem kleinen Universum noch, nämlich die passende Prinzessin an seiner Seite. Doch die kam dann auch, und wie. Blöd nur: Die Dame kam vom Land, genauer gesagt aus der kleinen Hansestadt an der Lippe. Und sie war dort derart verwurzelt, dass sie auch mit aller Überredungskunst und trotz der Darbringung von Gold, Weihrauch und Myrrhe nicht dazu zu bewegen war, zu ihm in sein kleines rheinisches Königreich zu ziehen.

Also entschloss sich unser Held, sein Schicksal anzunehmen und aufs Land zu ziehen. Dort angekommen, war das Leben aber plötzlich nicht mehr ganz so einfach. War es das seltsame Schuhwerk, welches er aus der großen Stadt mitbrachte? Oder gar der wunderbare Hut, der ihm so gut zu Gesichte stand? Es schien, als sei sein selbstegwähltes Exil noch nicht bereit, ihn in seinen Reihen willkommen zu heißen. Trotz ungezählter Besuche der örtlichen Wirtshäuser gelang es dem jungen Mann etliche Jahre lang nicht, sich eine Schar getreuer Mitstreiter zu suchen. Es machte sich alsbald echte Unlust breit und um ein Haar wäre unser Held wieder in sein rheinisches Königreich zurückgekehrt, so einsam war er ohne eigene Bande.

Das Wunder jedoch sollte kommen. Die Prinzessin hatte nämlich schon zwei wunderschöne Töchter, die der Held natürlich als sein eigen Fleisch und Blut annahm. Eines schönen Abends nun erschien eine der beiden Grazien zu einem kleinen Gelage in den heimatlichen Gärten mit einem anderen jungen Helden im Schlepptau, nennen wir ihn fortan Matze W. Und so kam es, wie es kommen musste: Nach einigen Bechern gar köstlichen Mets klagte der eine Held dem anderen sein Leid. Und Held Matze hatte die rettende Idee: „Junge, du musst in den Schützenverein!“ Doch die Reaktion auf diese verwegene Idee fiel vermutlich anders aus, als Matze sich das dachte: „Ja nee, is klar, womoglich noch in einer häßlichen grünen Jacke mit Holzgewehr über den Marktplatz paradieren. Nicht mit mir. Und überhaupt, bei euch wird doch ohnehin nur gesoffen!“

Zack, da war sie wieder, die Klischee-Falle. Und sie schnappte sofort gnadenlos zu. Gottseidank hat Matze seinerzeit die Sache nicht so stehenlassen, sondern mich kurzerhand einige Wochen später zu einem Event der Altstadtschützen in der Schießhalle an der Hafenstraße mitgeschlept. Und was soll ich sagen? Ich habe mich vom ersten Augenblick wohl gefühlt. Niemanden interessierten meine geliebten ausgelatschten Westernstiefel, es schien alleine meine bloße Anwesenheit zu genügen, um nahtlos in eine Gruppe mir völlig unbekannter Dorstener integriert zu werden. Unglaublich, dass für dieses Gefühl erst vier lange Jahre ins Land gehen mussten, in denen ich mich in Dorsten nicht so recht wohl fühlen konnte. Und was war das für ein Hallo, als ich die ersten Schützen bei meinem nächsten Samstagseinkauf in der Stadt traf. Wo ich sonst ausschließlich Smalltalk mit Nachbarinnen, Schulfreundinnen oder dem Freundeskreis meiner Frau hielt, traf ich plötzlich auf Menschen, die MICH begrüßten, meinen Namen kannten und sich darüber hinaus augenscheinlich auch noch freuten, mich zu sehen.

Eines war sofort klar: So muss das. Und: Da will ich mitmachen. Der Rest ist ziemlich schnell erzählt. Ich begann, mich für diesen verrückten Haufen so gut zu engagieren, wie es mir möglich war. Hauptmann Uli Merfeld holte mich nach einigen Jahren dann auch ins Offizerscorps der III. Kompanie, später wurde ich von den Mitgliedern zum Spieß, also Feldwebel und de facto Schreihals, gewählt. Und um der ganzen Sache auch noch buchstäblich die Krone aufzusetzen, wurde ich im Jahr 2011 doch tatsächlich Schützenkönig. Und mein Wort darauf, ich habe bislang nicht einen einzigen Tag meiner Zeit bei den Altstadtschützen bereut.

Und um zum Schluss noch einmal auf die Klischees einzugehen: Klar, in Schützenkreisen wird Bier getrunken. Nicht zu knapp. Genauso wie bei der Feuerwehr, im Fußballverein, im Spielmannszug und vergleichbaren Gruppierungen dieser Art. Aber alles zu seiner Zeit. Und wen es interessiert, dem erzähle ich gerne einmal von den vielen ehrenamtlichen Einsätzen, die wir im Laufe eines Schützenjahres so ableisten. Und damit meine ich ausdrücklich soziales Engagement, also Arbeit zum Wohle anderer, die Aufgaben innerhalb des Schützenvereins nicht einmal mit eingerechnet. Und wer die Mitglieder unseres Vereins in Zusammenhang mit braunem Gedankengut bringt – so etwas kommt leider nicht selten vor -, sollte einmal einen Blick auf unsere Leitlinien werfen. Oder noch besser etwas mehr Zeit mit uns verbringen.

Ach ja, geschossen wird bei uns übrigens auch. Gerade erst konnte ich wieder eine goldene Eichel für ein ordentliches Ergebnis in Empfang nehmen. Wer hierzu mehr wissen möchte, kann sich auch vertrauensvoll an mich wenden. Und wer sich traut, mit dem messe ich mich gerne auf dem Schießstand. Und im Anschluß daran trinken wir ein Bier zusammen 😉

Ich verabschiede mich also für die nächste Zeit in meinen lang herbeigesehnten Jahres-/Schützenfesturlaub. Komm doch mal zu uns ins Lippetal, Mickie Krause ist auch da!

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