(Ent)Scheidewege

Eins muss man dem Alter ja lassen: Bei all den kleinen Unzulänglichkeiten, die der fortschreitende körperliche Verfall unweigerlich mit sich bringt, schärft sich doch um so mehr der eigene Fokus. Man beginnt plötzlich damit, Dinge zu hinterfragen, Dinge zu ordnen, sich schlicht und einfach zu verschlanken, seelisch wie emotional. Gut, physiologisch gesehen passiert bei vielen Menschen bedauerlicherweise das exakte Gegenteil, bei mir hat sich jedenfalls so viel Hüftgold angesammelt, dass eine späte Karriere als Unterwäsche-Model für einen Plan B absolut nicht mehr herhalten kann. Aber darum geht es mir gar nicht. Sondern viel mehr darum, wie sich im Alter Dinge zu verändern beginnen, wie sie an Bedeutung und Sinnhaftigkeit in einer Art und Weise verlieren, die ich mir als junger Mensch in meinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.  Und dabei meine ich nicht einmal so sehr die materiellen Dinge, wenngleich mir auch hier eine Verschlankung nicht schaden könnte. Wer meinen „Klamottentick“ kennt, kann sich sicher vorstellen, wie schwer es mir fällt, mich von manchen Lieblingsstücken zu trennen, obwohl vermutlich niemals mehr auch nur der Hauch einer Chance besteht, diese noch einmal irgendwann zu tragen. Zumindest nicht bei Tageslicht.  Viel interessanter jedoch ist das, was in einem selbst passiert, wie sich die Sicht auf sich selbst und auf das eigene Leben plötzlich irgendwie aufzuklären beginnt. Also beginnt man sich von all den Dingen zu trennen, die man über die Jahre eigentlich recht lieb gewonnen hat, die jedoch im Grunde nur noch als Ballast taugen. „Stehrümkes“ hat meine Großmutter diese Dinge immer liebevoll genannt.

Aber es sind eben nicht nur Dinge, von denen man sich trennt, denn das wäre ja wieder einmal viel zu einfach.

Früher war die Sache doch ganz easy. Wenn einem sein Gegenüber in der Sandkiste sympathisch war, dann durfte er oder sie deine Schüppe mitbenutzen. Wenn nicht, reichte es aus, ebendiese mit Schwung in die entsprechende Richtung zu werfen, und man hatte seinen Standpunkt unmittelbar klar gemacht. Ein für allemal. Falls nicht, flog eben noch der Eimer hinterher, und sollte auch das nicht reichen: Sand war ja genug da. Fünfzig Jahre und zwei Herzinfarkte später jedenfalls ist die Sache wesentlich komplexer. Beziehungen scheinen plötzlich zu einem schier undurchdringlichen Geflecht von Erwartungen, Zwängen, Verlustängsten und Egoproblemen geworden zu sein. Nichts ist mehr einfach, immer auf dem schmalen Grat zwischen gefallen wollen und ausgenutzt werden balancierend.

Endlich hat man, nach mehr als fünf Jahrzehnten, es geschafft, mit sich selbst seinen Frieden zu machen, sich also nicht mehr unbedingt in die eigene Tasche zu lügen, auch wenn man ausreichend Übung darin hat. Man nimmt sich selbst ernst, aber nicht zu wichtig, man nimmt sich selbst wichtig, aber nicht zu ernst. Langsam beginnt sich so etwas wie gesunde Selbstliebe einzustellen, man verfügt über genügend Rückgrat, auch unangenehme Dinge anzunehmen, auszusprechen und vielleicht sogar anzugehen. Kurzum: Eigentlich könnte man in meinem Alter endlich damit anfangen glücklich zu sein.

Ah, da war er ja schon wieder, der Konjunktiv. Könnte. Das impliziert in der Regel, dass man es ist nicht ist. Oder zumindest nicht genug. Und woran liegt das? Nun, langsam aber sicher brechen immer mehr meiner Beziehungen auseinander. Und das schmerzt mich manchmal heftiger, als es mein ohnehin schon arg gebeuteltes Herz eigentlich gebrauchen kann. Und dabei ist es nicht einmal die Tatsache, dass Beziehungen, ja sogar langjährige Freundschaften, einfach so sang- und klanglos enden, die weh tut. Es ist viel eher der Punkt,  dass entweder a) ich in selbige viel zu hohe Erwartungen gesetzt habe, oder schlimmer, dass sie b) von vornherein gar nicht so belastbar waren, wie ich eben glaubte, dass sie es wären.

Sei es, wie es ist: Am Ende stehst du an einem (Ent)Scheideweg.  Und ich habe meine Entscheidung getroffen. Wie immer habe ich mir als moralischen Arschtritt dazu einen Song zusammengelötet, dessen Ursprünge dem Grunde nach schon etliche Jahre zurückliegen. Zumindest der Refrain des Titels ist bereits mindestens zehn Jahre alt. Und rückblickend betrachtet ist mir wohl schon damals klar gewesen, dass es mit einigen meiner zwischenmenschlichen Interaktionen auch zu dieser Zeit schon nicht unbedingt zum Besten stand. Wer mich im Schlechten nicht erträgt, hat mich im Guten nicht verdient, so einfach ist die Sache heute. Und deswegen geht das hier raus an alle Freunde. Echte, falsche, ehemalige und solche, die es noch werden wollen: Wenn du nicht gut tust, dann tust du wohl weh …

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Komponist: André R. Kohl
Texter: André R. Kohl

Ich hab dir zugehört
als es sonst kein anderer wollte
ich war für dich da
als es mir selber dreckig ging
Ich hab‘ nie geklagt
wenn mich dein Ego überrollte
Weil ich schon so lange
wie eine Klette an dir hing
ich hab es zerbrechen seh’n
und kann doch nichts dafür
Jetzt also heißt es drüber steh’n
und deshalb sag’ich dir

Refrain:
Wenn du nicht gut tust, dann tust du wohl weh
aber Freundschaft ist das längst nicht mehr
es wird langsam Zeit, dass ich endlich versteh‘
dass dir nehmen zwar liegt, aber geben nicht sehr
wenn du nicht gut tust, dann brauch‘ ich das nicht
sag‘ mir, wer wird schon gerne benutzt
und das, was im inner’n ganz langsam zerbricht
hat am Ende der Freundschaft die Flügel gestutzt

Ich hab‘ mir vorgestellt
wir wär’n ein Herz und eine Seele
doch jetzt ist mir klar
mein Herz ist für dich viel zu groß
Und glaub‘ nur nicht
das ich mich noch viel länger quäle
du hältst mich nicht fest
und deshalb lass‘ ich dich jetzt los.
alles was mir wichtig war
war es wohl für dich nicht
Jetzt also jetzt ist das Ende da
ich sag‘ dir ins Gesicht

Refrain:
Wenn du nicht gut tust, dann tust du wohl weh
aber Freundschaft ist das längst nicht mehr
es wird langsam Zeit, dass ich endlich versteh‘
dass dir nehmen zwar liegt, aber geben nicht sehr
wenn du nicht gut tust, dann brauch‘ ich das nicht
sag‘ mir, wer wird schon gerne benutzt
und das, was im inner’n ganz langsam zerbricht
hat am Ende der Freundschaft die Flügel gestutzt

doch was am meisten schmerzt
nach all‘ den ganzen Jahr’n
ist die Erkenntnis,
dass wir scheinbar niemals wirklich Freunde war’n
niemals echte Freunde war’n

Refrain:
Wenn du nicht gut tust, dann trifft mich das hart
nimm die Sache hier blos nicht zu leicht
da war doch mal etwas ganz großes am Start
aber irgendwie hab‘ ich das Ziel nicht erreicht
wenn du nicht gut tust, dann war es das wohl
irgendwann wirst du vielleicht versteh’n
und wenn ich mal irgendwo ankommen soll
muss ich diesen Weg weiter ohne dich geh’n

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