Zweischneidige Schwerter

Es gibt da diesen alten Spruch, der besagt, dass man Verwandschaft hat, wohingegen man sich Freunde aussuchen darf. Darin steckt viel Weisheit. Nehmen wir meinen Vater zum Beispiel. Er hat sich sicher nicht ausgesucht, dass er schon sehr jung zu ebendiesem wurde. Kein Wunder, dass wir beide eine sagen wir mal eher ambivalente Beziehung hatten. Auf keinen Fall eine ganz normale Vater-Sohn-Beziehung, soweit ich das beurteilen kann. Aber was ist schon normal in meinem Leben? Drehen wir also das Rad der Zeit ein wenig zurück und beginnen da, wo alles anfing: Auf einer Bühne.

Die 60er Jahre waren schon eine verrückte Zeit. In Deutschland schossen die Beat-Bands wie die Pilze aus dem Boden. Eine deutsche Band  namens „The Rainbows“ hatte im Jahr 1966 einen weltweiten Hit, der mit extrem wenig Text auskam und später noch von zahlreichen Künstlern gecovert werden sollte: My Baby Baby Balla Balla. Auch ein junger Mann aus dem beschaulichen Haltern am See coverte diesen Titel, stilecht mit Elvis-Schmalzlocke und schwarzem Beatles-Anzug ausgestattet. Horst, so hieß der junge Mann, stand mit einer Gitarre bewaffnet auf irgendeiner Bühne in irgendeiner Kneipe, die man damals wohl noch Club nannte und schallerte ebendiesen Song recht ordentlich dem Publikum entgegen. Unter den anwesenden Gästen befand sich auch die junge angehende Kindergärtnerin Ilona, und man begann, Gefallen aneinander zu finden. De facto wurde an diesem Abend, so wurde es mir aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen überliefert, also der Grundstein für meine Existenz gelegt.

Horst begann also damit, die junge Dame auf das heftigste zu umwerben. Eines hatte der sonst so smarte Musiker allerdings nicht bedacht: Die junge Dame war eben, nun ja, jung. Sehr jung sogar. Und so sollte es noch einige Zeit dauern, bis es ihm gelang, sie davon zu „überzeugen“, die Beziehung zu, ähm, vertiefen. Um es kurz zu machen: Für dieses, wie ich viel später hören sollte, eher kurze Vergnügen bekam Horst stante pede die Quittung: Er sollte nun Vater werden. Und das im zarten Alter von 19 Jahren. Und ich kann mir gut vorstellen, dass ihm dies damals genauso gut gefiel, wie mir heutzutage eine Zahnwurzelbehandlung.

Ilona kam aus eher konservativem Elternhaus. Und so gab es nur eine logische Konsequenz: Es wurde geheiratet. Und ich wurde geboren. Und ziemlich bald war klar: Das war nicht das, was Horst wollte. Und er begann sich zu verändern, immer mehr. Und er trank. Immer mehr. Die nächsten neun Jahre der Ehe meiner Eltern möchte ich nicht noch besonders breit treten, sondern nur soviel dazu sagen: Wir hatten Angst vor ihm. Er schlug meine Mutter und mich mehr oder weniger regelmäßig, vor allem aber ließ er keine Gelegenheit aus, uns zu demütigen. Damals allerdings war mir das nicht bewusst. Wie auch, mit nicht einmal neun Jahren? Er war halt der Chef. Und in anderen Familien ist es bestimmt noch schlimmer als zuhause.

Irgendwann gelang meiner Mutter der Ausbruch aus dieser Ehe. Aber anstatt das es jetzt ruhiger werden sollte, wurde mein Verhältnis zu meinem Vater noch komplizierter. Meine Eltern vereinbarten ein Besuchsrecht, ich glaube, es war einmal im Monat, dass mein Vater ein paar Stunden Zeit mit mir verbringen durfte. Von diesem Besuchsrecht machte er allerdings eher unregelmäßig gebrauch. Und ich kann mich sehr gut daran erinnern, was ich fühlte an diesen Besuchssonntagen, an denen ich im Sonntagsanzug am Fenster saß, und vergeblich darauf wartete, dass er mich abholte, um mit mir in den Zoo zu gehen. Oder auf die Kirmes. Oder in die Kneipe.

Aber wie groß war die Freude, wenn er dann doch kam. Meistens mit einem Geschenk für mich bewaffnet kam er strahlend auf mich zu. Für ein paar wenige Stunden hatte ich dann einen echten Vater. Und ich konnte mit ihm in den Zoo gehen. Oder auf die Kirmes. Oder in die Kneipe. Zoo und Kirmes wurden dann auch folgerichtig irgendwann abgeschafft. Und so erfuhr ich einen nicht unerheblichen Teil meiner Prägung durch ältere, eher halbseidene Herren aus dem Freundeskreis meines Vaters, allesamt sozial und/oder intellektuell weit unter seinem Niveau. Um es beim Namen zu nennen: Mein Vater hatte keine Freunde, er hatte Fans, Follower würde man heute wohl sagen. Und ich? Ich war das Maskottchen, der hübsche Bengel, dem man eine Tafel Schokolade kaufen konnte und er sang ein kleines Lied. Später dann, als ich älter wurde und tatsächlich meine erste Schallplatte aufnahm, war ich der Kerl, dem man ein Bier ausgab, und ihn zur Jukebox schickte, um diese Platte abzuspielen. Zwei Dinge habe ich in dieser Zeit gelernt: Das Biertrinken und das rechtzeitige Ducken, um nicht vor versammelter Mannschaft eins in die Fresse zu bekommen, wenn mein alter Herr mal wieder sturzbetrunken war und unbedingt klar machen wollte, wer hier der Chef im Ring ist. Ich liebte meinen Vater. So wie ein Hund seinen Herrn liebt, obwohl oder viellecht gerade weil er ihn prügelt.

In einem allerdings konnte mir Horst das Wasser nicht reichen: Ich konnte Songs schreiben, er nicht. Während er nach einer Absage von einer Plattenfirma, die sein Demo mit der Begründung ablehnte, seine Stimme sei auf dem deutschen Markt leider nicht gefragt, seine gesamten musikalischen Ambitionen komplett auf Eis legte – eine durchaus symptomatische Vorgehensweise für meinen Vater – schrieb ich Songs am laufenden Band und wurde dann später tatsächlich für eine nicht unerhebliche Zeitspanne professioneller Schlagersänger. Die Beziehung zu meinem Vater entwickelte sich zu einer On/Off Beziehung. Wenn es ihm in den Kram passte, waren wir Kumpels. Wir tranken zusammen und er ließ nichts unversucht, meine jeweilige Lebensabschnittsgefährtin ins Bett zu bekommen. Wenn nicht, war mitunter jahrelang Funkstille. Um seinen 50. Geburtstag herum hatten wir mal wieder eine Phase, in der es einigermaßen gut lief. Und so schrieb ich ihm in dieser Zeit einen Song, den er sehr mochte. Und was lag näher, als ihm zum 50. Geburtstag eine Studioaufnahme genau dieses Songs zu schenken?

Also ging ich in ein Tonstudio. Bewaffnet mit meiner Gitarre nahm ich den Titel auf und einige Wochen später sollte das fertig arrangierte Ergebnis vorliegen, welches ich ihm dann mit stolzgeschwellter Brust auf seiner Geburtstagsfeier vorspielen wollte. Aber es sollte anders kommen: Ich bekam das Geld für die Produktionskosten nicht zusammen, konnte also das Tonstudio auch nicht bezahlen. Ergo hatte ich kein Geschenk für meinen Vater. Und ich schämte mich so sehr deswegen, dass ich mich in die hinterletzte Ecke verkroch und fortan wieder absolute Funkstille einhielt.

Fünf Jahre später kam der Anruf. Mein Vater verstarb ganz plötzlich. Nicht etwa, weil er sich totgesoffen hat, was mein erster, nicht ganz unabwegiger Gedanke war. Nein, der Kerl geht eine Treppe herunter und bricht sich das Genick. Und da stand ich nun mit meinen Gefühlen, die nicht wußten wohin. Kurz und gut: Ich brauchte ziemlich lange, um mich aus diesem Loch wieder herauszuholen. Ich hätte ihn hassen müssen. Aber ich liebte ihn. Auch wenn das nicht besonders clever von mir war.

Wenn ich heute in den Spiegel sehe, sehe ich das Gesicht meines Vaters. Das Haar nicht ganz so weiß, aber ansonsten ganz er. Und wenn ich mich manchmal ein wenig von außen betrachte, so bin ich auch in vielen anderen Dingen wie er. Im Guten und leider viel zu oft auch im Schlechten. Und nun werde ich im nächsten Jahr selber 50. Kein übler Grund, um an diesen Titel noch einmal Hand anzulegen. Und weißt du was, Daddy, ich finde, er ist richtig gut geworden.

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Komponist: André R. Kohl
Texter: André R. Kohl

Kann schon sein, dass du ein Vorbild warst
immer stark, ungebeugt und die Faust in der Tasche geballt
doch wenn du jetzt auf diese Zeilen starrst
hat auch die längst schon verblasste Erinnerung neue Gestalt

Und ich wollte singen
genauso wie du
nun gut, ich habe es gelernt und hab‘ nich von dir entfernt
und kann doch nichts dazu

Ref.:
Hey Daddy, mach’s mir nicht so schwer
es ist doch ohnehin nicht leicht
wer gibt denn Fehler gerne zu und wer kann Brücken bau’n
nach so langer Zeit
Hey Daddy, bitte hör‘ mir zu
du hast mir selber mal gesagt
Ich wär‘ ein bißchen so wie du
und du gibst auch nicht gerne zu
es tut dir leid

Kann schon sein, dass ich erwachsen bin
und schau‘ ich in den Spiegel, sind da Parallelen zu dir
und welchen Weg ich auch gegangen bin
ich hab‘ doch immer gehofft, eines Tages stehst du vor der Tür

Doch es kam alles anders
ich hab‘ mich verirrt
aus den Augen, aus dem Sinn, doch irgendwie haut das nicht hin
du hast es auch gespürt

Ref.:
Hey Daddy, mach’s mir nicht so schwer

Und jetzt stehst du hier
so vertraut und doch fremd
und etwas ist da
das mir die Seele verbrennt

Und dann sagst du, meine Worte wär’n für dich ein rotes Tuch
doch bitte sag‘ nicht, ich soll geh’n
mir bleibt nur dieser Versuch

Ref.:
Hey Daddy, mach’s mir nicht so schwer

Hey Daddy, es wird niemals leichter!

 

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